Von Aussichtspunkten, italienischen Rädern, Kampfansagen und Schuhen

Das Trainingslager 2022 brachte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur in Form. Das zeigt das Protokoll einiger denkwürdigen Momente.

Noch nie war die Vorfreude auf ein Trainingslager so gross wie dieses Jahr – kein Wunder, schliesslich dauerte sie auch mehr als zwei Jahre. Doch als sich das Dutzend Hittnauer Gümmeler zur Abfahrt traf, schien es, als wäre das letzte Camp gerade erst Geschichte. Denn die Aufgabenverteilung war augenblicklich klar: Die Jungmannschaft hantierte auf dem Dach des Busses, zurrte Velos und Räder fest. Während die Angealterten sie mit verschränkten Armen und mehr oder minder hilfreichen Kommentaren anleiteten. Erstere trugen es mit Fassung – wohl, weil sie bereits ahnten, wer in der Trainingswoche im Le Frigoulet in der französischen Ardèche wirklich das Sagen haben würde (dazu mehr am Tag 5).

Tag 1: Wo ein Wille ist, ist auch ein Aussichtspunkt

Tourenchef Pascal zeigte sich am ersten Tag noch gnädig: «Vernünftig einrollen», lautete das Motto der ersten Runde. Was den Wintertrainingsfaulen nicht nur Steine, sondern regelrechte Felsen vom Herzen fallen liess (Namen der Redaktion bekannt). Und so genoss die eine Gruppe eine pitoreske Sightseeing Runde, während sich die Bolzer einem ersten inoffiziellen Formtest unterzogen – und sich dabei nicht einmal einen Glacéhalt gönnten.

Und weil Romeo während der gesamten Sightseeing-Runde von einem Aussichtspunkt unweit des Hotels schwärmte, machten sich vier Nimmersatt nach kurzer Rast und einigen Bissen Sandwich im Hotel umgehend wieder auf. Zwei (Romeo und Anne) auf dem Renner, zwei (Martin und Pia) auf dem Bike. Zehn lange Kilometer verfluchten sich die beiden mit den breiten Pneus für ihre Velowahl – insgeheim belächelt von den locker dahin pedalierenden Rennradlern. Wer sattelt schon um, nur weil am Ende der Strecke «knapp Zweihundert Meter» (Zitat Romeo) unbefestigte Strasse warten? Doch wie sagt man so schön: Wer zuletzt lacht… Genau! Locker dahin pedalierten auf den «knapp Zweihundert Meter» (die in Tat und Wahrheit locker zehnmal so lang waren – die Massangabe stimmt wohl eher für Höhenmeter) die beiden Breitbereiften. Sei’s drum: Romeo sollte recht behalten! Die Aussicht in die Ardèche-Schlucht (schliesslich von den Rennradlern zu Fuss entdeckt!) war jeden Schweisstropfen wert – egal, ob sie auf dem Asphalt oder dem Schotter vergossen worden waren.

 

Tag 2: Campagnolo ist nicht makellos

Der erinnerungswürdige Aussichtspunkt war ein Vorgeschmack auf die Fahrt des zweiten Tages. Sie führte auf gewundener Strasse die Ardèche-Schlucht hoch, über etliche Kilometer hinweg mit atemberaubender Sicht. Schliesslich hatte sich das Wasser der Ardèche während mehr als einhundert Millionen Jahren ins Kalkgestein gegraben und daraus einen Canyon geformt. Glücklicherweise nicht ganz so lange brauchten die Hittnauer von Saint Martin nach Vallon-Pont-d’Arc – vielleicht auch, weil das französische Tiefbauamt vergangenes Jahr einen neuen «Teppich» verlegt hatte. Ob die Behörde dies für Stephan Küng tat, der an der Tour de France auf diesem Abschnitt Vierter wurde, oder für die Hittnauer Verfolger ist nicht aus unabhängigen Quellen zu erfahren.

Der Kafistopp der Bolzer vor dem «Einstieg» in die Schlucht machte indes klar: Cola trinken ist nichts für den Präsidenten. Aus Angst vor einem masslosen Anstieg des Zuckerspiegels gönnte er sich lieber ein Bier (selbstverständlich bleifrei). Nicht überliefert ist, ob er sich rückblickend etwas Prozenthaltiges bestellen würde. Denn: Es hätte ihm wohl über die Fassungslosigkeit hinweggeholfen, dass auch eine Edelkette aus italienischer Manufaktur ihren Dienst versagt. Glücklicherweise opferte Beat seine sauberen Hände, um Gianmaria aus der Patsche zu helfen.

Tag 3: Die wohl beliebtesten Hinterräder

Ihr kennt bestimmt alle noch das A-Team und damit das geflügelte Wort von Chef Hannibal: «Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.» Das dürften sich an diesem Tag Romeo und Martin – die für die Ladies die gestaffelten Abfahrtszeiten ausrechneten – sowie Tourenplaner Pascal gedacht haben. Denn: 1. Just als Andrea und Bea – sie waren ein von Senior Tedaldi ausgerechnetes Stück mit dem Bus vorgefahren – ihre Räder abgeladen hatten, trafen Anne, Romeo und Pia bei ihnen ein, genauso wie es Martin kalkuliert hatte. Und 2. Die fünfköpfige Vorhut traf am legendären Pont du Gard nahezu zeitgleich mit den Verfolgern ein.

Nach einer gemeinsamen Rast in Uzès stellte die Jungmannschaft nicht nur ihre Lokomotiveneigenschaften unter Beweis. Die Bolzergruppe zeigte auch wahre Gentlemensqualitäten. Unermüdlich führten Henry und Pascal das kleine Feld an, während der Präsident mit wertvollen Ratschlägen die Damen ins «Geheimnis des Gruppenfahrens» einweihte und Martin mit Silvan zu löcherzufahrenden «Gregarios» wurden. Auf dieser Fahrt wurde ein inoffizieller Preis verliehen. Nämlich jenen des beliebtesten Hinterrades. Er geht an die Gebrüder Dieterich, die mit bemerkenswerter Konstanz den Novizinnen den Respekt vor dem Windschattenfahren nahmen.

Tag 4: Kein Kommentar

Angesagt: 40 Kilometer. Gemacht: 29 Kilometer. Differenz: 11 Kilometer. Hinweis: Es hat während fünf Minuten geregnet. Kommentar: Unnötig.

Tag 5: Die Ansage des Youngsters

Bereits am Vorabend hatte Henry seine Kampfansage gemacht: Er kündigte an, im Intervalltraining des fünften Tages den Präsidenten zu deklassieren. Dreimal 30 Sekunden und viermal vier Minuten dauerte sein Siegeszug – unklar bleibt nun, ob nächstes Jahr auch Martin und Pascal fällig werden. Fürs Protokoll: Dass sich Dani mit einem «vorgetäuschten Defekt» eine Pause zwischen den beiden Intervallblöcken «ergaunerte» ist wohl ein Gerücht.

Tag 6: Frauen können immer Schuhe shoppen

Die Ladies (ausgenommen Pia, die ramponiert am Pool lag) gönnten sich am letzten Tag eine selbstkreierte Tour. Schliesslich ist Andrea mit Komoot nun unter die Planerinnen gegangen. Ihre Route – inspiriert von ihrem Gatten – war ein Leckerbissen und hielt einige knackige Steigungen bereit. Dort zeigten Bea und Anne, was ein Trainingscamp alles bewirken kann. Als hätten die beiden noch keinen Schweisstropfen vergossen, bodigten sie jede Erhöhung. Und beim finalen Kafihalt stellten die drei Damen unter Beweis, dass Frauen auch Schuhe shoppen (und diese auch ins Hotel transportieren) können, wenn sie mit nichts als ihrem Renner unterwegs sind.

Fazit: Die Vorfreude auf das nächste Trainingscamp wächst bereits wieder!